Es ist
Silvester 2000.
Durch die von der Wärme beschlagenen
Wohzimmerfensterscheiben sieht man Feuerwerkskörper bunte Schlieren in die
Nacht einzeichnen. Eine vereinzelte Rakete steigt langsam auf, explodiert, und
tausend blutrote Splitter fallen zitternd zu Boden. Wieder und wieder grelle
Funken schlagend. Alles ist bunt und hell
und neu.
Vorhin hat mein Großvater mit einem illegalen
polnischen Kracher ein beträchtliches Stück der Einfahrt weggesprengt und es
gab dinosaurierförmige Chicken Nuggets zum Abendessen.
Im Fernseher, der immer läuft, läuft eine
deutsche Komödie von und mit Otto Waalkes. Der Kamin lässt Holz verglühen und füllt den
Raum mit Wärme. Es riecht nach Rauch, glaube ich. Irgendwie beruhigend. Ich spüre die endlos-gebirgskettenartige
schwarze Ledercouch weich unter meinem Rücken, eingewickelt in einen aus
dutzenden Decken bestehenden Stoffberg. Dicht bei mir liegt mein Bruder, umarmt mich
beinah krampfhaft, so als könne er die Zukunft kommen sehen, und starrt mich
mit seinen hellbraun leuchtenden Augen an wie eine Lichtgestalt.
Die Zeit
steht still, auf ewig.
Mein Großvater versinkt mit seinem dicken
Bauch mehr und mehr in seinem noch dickeren Sessel. Verschmilzt: mit dem
Zimmer, der Wärme, dem Leuchten – mit
allem.
Auf dem Kaminsims tickt
beharrlich eine alte Uhr mit römischen Ziffern, die mich wütend, rasend, tobend
macht, weil ich ihre Zahlen nicht verstehe. Auf dem winzigen Wohnzimmertisch
steht ein Porzellangefäß, prall gefüllt mit goldenbraunem Kandiszucker. Der alte Dackel, der – wie der Fernseher immer
an war – immer da war, im Todesfall bloß unauffällig ausgetauscht wurde, liegt
stumm auf seinem Platz und sonnt sich in der Wärme des Kamins, starrt mit
altersmüdem Blick ins immergleiche Nichts. Meine Großmutter trinkt, wie jeden
Abend, ein Bier aus einer Dose, die bedruckt scheint mit einem türkisfarbenen
Muster, das, meine ich mich zu erinnern, aussieht wie eine bayrische
Tischdecke.
Ich habe
das alles genau so erlebt.
Danke Großvater und Großmutter, ich hoffe, es
geht euch beiden gut, in eurem kleinen Wohnzimmer, im gerade beginnenden Jahr
2000, in dem ich euch so gut wie jeden Tag besuchen
komme.