Freitag, 12. Mai 2017

Europa: Eine kritische Bestandsaufnahme

Es fällt mir überraschend schwer über Europa zu schreiben: seltsam bezugslos, befremdlich kalt, sehe ich mich diesem abstrakt-großen Gegenstand gegenübergestellt, dessen derzeit übersteigerte Wichtigkeit mir Tag für Tag verständlich gemacht werden soll.

Zuallererst denke ich, dass kein Gegenstand dieser Welt es nicht wert wäre kritisiert zu werden; dass Erhaltungswürdigkeit, soll sie nicht als leeres Wort fungieren, sich als solche zu beweisen hat.

Und Europa – nur weil Dich dieselben Menschen hassen, die ich für ihren Hass verachte, sind wir beide leider keine Freunde; nur weil eine ach so aufgeklärte Jugend, in einem spontanen Anfall unbeholfener Re-Politisierung, ihre Apathie vermeintlich überwindend, den diesmal endgültigen Untergang des Abendlandes drohend am Horizont heraufziehen sieht, erschließt sich mir nicht ganz, wie dies das pawlowsch-reflexhafte Verfassen schmerzhaft kitschtriefender Lobeshymnen auf deine heilige Unfehlbarkeit begründen könnte.

Ja, Gemeinschaft ist als Mensch das Höchste: nur gemeinsam, als gleichsam Anerkannte, sind wir frei. Und nein, ich glaube nicht, dass die sogenannten ,,westlichen Werte’’ bloß irgend-relativierbare Propaganda-Chimären von temporärer Wahrheit wären.
Doch der Angst vor dem Zerfall aller europäischer Gemeinsamkeit geht die Frage nach Substanz voraus:
Wie dicht sind die Netze, die zu reißen drohen, wieviel Last vermögen sie zu tragen?
Welchen Sinn macht subjektives Klagen, jenseits jeden Reflexionsniveaus?
Wem nützt blinde Emotion, aus einer unbestimmten Furcht heraus, man könnte uns die Freiheit nehmen, die, wenn wir einmal ehrlich sind, noch nicht mal hier für jeden gilt?

Als Kind des Friedens weiß ich nicht, was Pazifismus heißt.
Als Kind des Wohlstands ist mir Armut fremd.
Als Kind der Freiheit, Tyrannei ein leeres Wort.

Und wenn Europa genau das bedeutet:
Frieden, Wohlstand und Freiheit – für jeden Einzelnen – in ehrlich anerkannter Einigkeit:
dann bin ich Europäer, dann weiß ich jetzt, wovon ich schreibe.

Doch diesem Europa, das wir uns so gern erträumten, gilt es – vor allem durch Kritik – endlich Leben einzuhauchen; es aufzuwecken; es durchs Hinterfragen wahr zu machen;
denn kein simples Hinnehmen des Gegebenen, das bloß im Bedrohtsein kurz erträglich scheint, wird in der Lage sein dieses Europa über sich hinauszutreiben:
in eine wahrhaft freie Welt, fern von Herrschaftszwang und Ungleichheit.