Samstag, 23. Dezember 2017

Stimmbruch

Die Dezembertage sickern vor dem Fenster in den feuchten, kalten Boden, ohne dass etwas geschieht oder sich die Möglichkeit ergäbe, innerhalb der Zeit des Wachseins auch nur halbwegs produktiv zu handeln: Ich liege viel in meinem Bett, mein Rücken tut mir weh, der Laptopbildschirm flackert.
Bloß scheint es so, als sei der saisonal bedingte Sog des Nichts soviel unerträglicher als sonst  – oder sonstige an dieser Stelle zu verwendenden Floskeln, die man, sich viel zu wenig dafür schämend, aufs Papier schmiert, wenn man gar nichts fühlt und gar nichts denkt und daher auch nicht schreiben kann, aber spontan, wie man halt ist, beschließt, zumindest Letzteres zu ändern, in der irren Hoffnung, dass sich  Ersteres dadurch – warum auch immer – irgendwie zurück zum Guten kehrt.
In Wahrheit ganz einfach, weil mein Hirn, das alte Sieb, vergessen hat, was früher war und mir jetzt sagt, es geht ihm schlecht, so schlecht wie nie.

Indes, der Grund, bedingt durch den jetzt, obzwar die Dinge an sich so unendlich viel schöner scheinen als früher, die sogenannte Unerträglichkeit des Daseins mich durchzieht – ich zumindest nicht länger Tag und Nacht, nackt und ausgemergelt in eine fremde Fratze starrend vor dem Spiegel stehe und böse zitternd in dem Nichts versinke, das aus meinen beiden schwarzen Augen schwappt –, liegt nun einmal darin begründet, dass das Heute in Wahrheit die Wahrheit des Gestern darstellt und jenes dieses damit ganz in sich enthält, es widerwärtig potenziert hinterrücks aus sich entlässt, sodass, wenn man dumm, wie man halt ist, sich kurz – ganz kurz – auf der letztlich sich'ren Seite wähnt, man, wie es mir scheint, ganz unbedacht den eben unabdingbar teils in den Ärgernissen, Todesfällen, Katastrophen der Vergangenheit verwurzelten Grund des eig'nen Seins verneint.

Wie es mir scheint: Mir, dem ewig blassen dürren Jungen mit den hellen blauen Augen, in denen alle – wirklich alle – irgendwas zu sehen und irgendwas zu finden glauben. Der Junge mit dem Pisspottschnitt, der nur von Fernsehwerbung spricht und in seiner wirren Phantasiewelt lebt. Der wohl zumeist alleine war, darum bis heute kaum versteht, wie man die Außenwelt erfühlt, geschweige denn sich selbst, doch mittlerweile erstmals zaghaft spürt, dass es ja wirklich so etwas wie Liebe gibt; darunter vorerst furchtbar leidet, blutet, zappelt, zuckt und schreit.

Der Versuch, mich einfach so von alledem hier freizuschreiben scheitert;
scheitert, weil er scheitern will und scheitern muss,
damit ich weiter schreiben kann,
meine Geschichte sich sich selbst erzählt,
damit der Stein zurück den Berg raufrollt, der Adler genug Leber frisst,
weil genau das in Wahrheit meine Freiheit, meine Stärke ist:
Dass das letzte Wort niemals gesprochen wird,
sich meine absolute Weltfremdheit, mein seltsam blasses Formlossein
eben dadurch unentwegt ins Dasein schreibt,
und so mein scheinbar substantiell verlog'nes Wesen,
durch meine gänzlich herzgebroch'ne Ehrlichkeit, wirklich –
nichts als wirklich wird.

Sonntag, 26. November 2017

Ebbe & Flut II

Die Wohnung war völlig zugeschimmelt. Ich kann mich derzeit meistens nicht bewegen. Demnach habe ich dann einfach auf dem Bett gelegen und wie eigentlich immer – nur jetzt ein wenig vorwurfsvoller – die neuerdings pelzigen Wände angestarrt.
Irgendwann war auch die Matratze angeschimmelt. Ich habe dann ein paar Wochen einfach weiter darauf rumgelegen. Und nur der Richtigkeit halber ist mein Kontostand im Minus, die Spüle voll mit dreckigem Geschirr.
Jemand musste mir dann Geld leihen und eine neue Matratze liefern lassen. Die alte liegt jetzt nutzlos in der Küche rum, versteckt in einem Glaspfandwald polnischer Bisongraswodkaflaschen.
Irgendwann habe ich mich, gütig, wie ich zu mir bin, entschieden, zumindest wieder zu essen – und bin, halsbrecherisch über Gebirgsketten aus Unrat kletternd, böse schwankend, über den Flaschenwald hinweggestolpert, die zugemüllte Spüle erfolgreich ignorierend, und vorsichtig auf die alte Matratze geklettert, die jetzt vor dem Herd rumliegt und auf der man stehen, um zu kochen muss, was eigentlich ganz nett ist, da das leichte darauf Hin- und Herwippen einem als allerletzte Freude bleibt.
Und auch wenn mein Denken derzeit stillsteht, mein Empfinden durchgefickt daliegt, lasse ich es mir nicht nehmen, in aller Seelenruhe zu kochen, mich an meinen riesigen Holzschreibtisch zu setzen und dort, durch die große Fensterfront hindurch, über die wirklich wichtigen Dinge sinnierend, die still und friedlich in Reih und Glied dastehenden Altbaufassadenreihen Bonns zu betrachten, und mir zu denken, dass ich in Wahrheit der klügste Mensch der Welt bin.
Nur das Stechen in der Lunge und die zwei, drei medizinballgroßen Ratten, mit den bösen roten Augen, – die stören mich ein wenig.

Mittwoch, 22. November 2017

Alte Leier

Mein Mädchen schaut mich traurig an, weil ich, wenn sie mich mal besuchen kommt,
schon wieder morgens völlig drauf im Bett rumliege
und verwirrten Schwachsinn stammle.
Und ich saug mir irgendwelche Gründe aus den Fingern,
dass das schon wieder aus Versehen wäre,
diesmal wirklich nicht so weitergehe,
lass sie in meinen beiden blauen Augen tauchen,
bis sie – wie immer – wieder butterweich wird und mir sagt,
dass sie sich einfach krasse Sorgen macht.
Dann mach ich ein paar Witze, dreh die Wirklichkeit herum,
weil jeder insgeheim am Ende doch am liebsten glaubt, was irgendwie am besten klingt,
bis es so wirkt, als wüsst ich, was ich tue – als wäre alles halb so wild,
und ihr schönes Porzellangesicht mit meiner bleichen Brust verschmilzt,
sie sich hektisch in mein Fleisch reinkrallt und
irgendwann dann leise atmend einschläft.

Samstag, 18. November 2017

Komische Nächte

Konstantin verlässt die Wohnung. Im Flur flüstert niemand mehr, nur vereinzelt fällt Licht durch die Fenster. Jeder der Schritte sticht ins wundgereizte Hirn. Beim hinaus auf die Straße Gehen fühlt er sich wie als Kind, beim Ankommen am Strand, wenn der Anblick vom Meer plötzlich von ganz hinten nach ganz vorne schnalzt.
Auf der Straße stehen Menschen und starren in den Himmel. Gänzlich wolkenlos, fast wie ein zweites Meer, liegt dieser einfach da. Konstantin setzt Fuß vor Fuß, bleibt trotzdem auf der Stelle stehen, versinkt in grauem Boden. Alles wirkt unerträglich hell, die ganze Welt beginnt zu glühen. Er versucht sich festzuhalten, indem er hilflos in Gesichter blickt. doch was er sieht, das hilft ihm nicht: Bloß ein grelles Leuchten, alle Menschen werden Licht.
Irgendwann dann lösen sich die Füße und er stolpert schwankend vorwärts, kriecht auf allen Vieren zu einer Bushaltestelle. Auf der orangefarbenen Anzeige steht: Nur noch fünf Minuten, dann geht's weiter.
Er liegt für unbestimmte Zeit neben einer Frau mit Kinderwagen auf dem Gehsteig, vergisst beinah zu atmen, zieht sich dann unbeholfen an dem Wagen hoch und klettert umständlich hinein. Die Frau schaut ihn verwundert an, schüttelt langsam mit dem Kopf und sagt dann leise flüsternd: Bitte leg dich endlich schlafen, wir alle machen uns schon Sorgen.
Die Sonne scheint und Vögel zwitschern. Konstantin ist recht zufrieden. Der Bus hat leicht Verspätung.

Montag, 13. November 2017

Glückliche Tage

Konstantin Alexander starrt die Wand an, während im Hintergrund der Kühlschrank brummt. Im Laufe des Tages haben sich Schweißseen auf seiner nackten Haut angesammelt. Vor dem Fenster tobt der Sommer, im Zimmer waltet Stille. Nur Von Zeit zu Zeit hört man Menschen im Flur flüstern.
Der Holzboden der Wohnung ist durchzogen von blutigen Rotweinflecken und irgendwo in der Ferne dröhnt gedämpft die Hupe eines jetzt nicht mehr allzu schnellen Schnellzugs: Ein Mann mit Hut hatte vergeblich versucht, noch bei Rot über die Gleise zu laufen. Der Hut liegt jetzt ein paar Meter neben den Schienen, in einer Böschung – der Mann überall.
Die Spüle ächzt unter verschimmeltem Geschirr, in der Ecke steht eine verwelkte Pflanze, alles begraben unter einer dicken Schicht aus Staub. Das Konzept der Zeit kondensiert an der Scheibe und den Wänden und läuft langsam Richtung rotgeflecktem Boden. Die Zimmerdecke beginnt, bedingt durch das Drücken der Sommerhitze, zu kochen, wirft behäbig Blasen, eruptiert als Raufasertsunami ungebremst in Richtung Boden. Und auch der Boden löst sich auf, lässt wie die Lavalampen, die man einst als Kind betrachtete, langsam rotgefärbte, wildgeformte Blasen in Richtung Zimmerdecke steigen, sodass sich irgendwie – wie so oft in meinen Texten und generell in meinem Denken – alle Dinge zu durchmischen scheinen: Die Hitze, der Staub, das Blut, die Einsamkeit.
Und irgendwann einmal war da ein Gedanke, den Konstantin zu denken wollen glaubte. Auf der Straße vor dem Haus schlendert eine Familie durch die Sonnenstrahlen. Die Kinder schreien und rennen umher, der Vater trägt einen Bart, die Mutter ist blond, sonst nichts. Konstantin wird schlecht. Sein Magen scheint zu leer, sich zu erbrechen – entscheidet sich dann aber um und lässt, wie ein organischer Miniaturspringbrunnen, schwallweise Schaum aus den Mundwinkeln auf die Matratze sprudeln. der sich mit den salzigen Schweißseen vermischt und kleine zarte Sturzbäche bildet, die dann in den Blutrotweinozean münden, welcher wiederum lavalampengleich nach oben steigend die gesamte brodelnde Zimmerdecke durchzieht. Alles voll von nackter Haut und Traurigkeit.
Plötzlich erinnert sich Konstantin: Heute ist mein Geburtstag. Er zuckt kurz mit den Schultern. Vor dem Fenster tobt der Sommer.

Freitag, 10. November 2017

Du (und ich)

Ich verstecke mich am Tresen vor mir selbst
Das Handy klingelt und ich werde panisch
Liege morgens früh um fünf alleine in der Wohnung.

Freitag, 25. August 2017

Trotzdem ja zum Leben sagen

Frankl hat mir beigebracht: Die Liebe selbst hängt nicht am Leben.
Ihr seid alle noch bei mir, macht mich erst zu meiner selbst.
Da waltet immer dieser Hintergrund: Die Vernunft, der Geist –
von mir aus Gott –
schlichtweg: Das Substantielle,
manchmal scheint es auf.

Mittwoch, 23. August 2017

Weltschmerz

Die Jugendlichen haben ihre letzte Woche Sommerferien
und mir tut's ehrlich leid fürs schlechte Wetter.
Ich hab noch immer meine Schwierigkeiten mit der sogenannten Wirklichkeit,
in der sich dieser furchtbar nette Typ – kaum älter als ich selbst –
in der U-Bahnhaltestelle hängend, Heroin in seinen Schwanz rein spritzt,
weil beide Beine ihren Geist aufgaben;
die dumm daherschratelnde, strohblonde Hure
von ihrem zugekoksten Freier, der wirr lachend vor sich hinlallt,
in etwa so lustlos getreten wird wie ein Kieselstein am Wegrand
und endlose Ströme betrunkener Mädchen wasserfallartig die Bahnhofstreppe hinabstürzen,
verzweifelt kreischend entzweigehen.

Dienstag, 22. August 2017

Atlas und die Nymphen

Als Du auf meiner Brust liegend eingeschlafen bist
und mir halblaut zugeflüstert hast, dass Du Dich bei mir sicher fühlst,
da musste ich an früher denken, und war kurz ein bisschen glücklich.

Sonntag, 20. August 2017

Halb so wild

Die Stadt zieht stumm und vorwurfsvoll am Zugfenster vorbei.
Noch immer auf der Suche nach dem Substantiellen:
Der verzweifelte Versuch, ein guter Mensch zu sein –
Trotz allem.
Und selbst wenn mein Herz in Scherben liegt,
Liege ich in meinem Bett, starre stumpf die Wände an,
Schlecht gedrehte Zigaretten rauchend,
Ein bisschen daran denkend,
Dass Du mir immer wieder sagst:
Es ist schon okay so, wie du bist.
Also danke, altes Haus, denn ohne Dich wär ich allein.

Freitag, 14. Juli 2017

M. B.

Meine verwirrte Najade zieht mich zu sich in den Teich,
mit ihrem traurigsüßen Blick und diesem schmerzhaft schönen Lächeln,
der viel zu großen Nachsicht, für allen meinen Schwachsinn.

Mache ich auch sonst ein riesiges Theater um meine hochgelobte Einsamkeit,
bin ich plötzlich wie entwaffnet, aus Versehen butterweich –
Selbstschutzmechanismen räuspern sich nervös im Hintergrund.

Und ich bin mittlerweile ehrlich dankbar, für die Bücher, für den Tee
und dieses eine wundervolle Mädchen, dessen Wohlergehen mir derzeit
einfach nicht egal sein kann.

Sechstes Semester

Die Eule der Minerva wird ungeduldig mit den Jahreszeiten, scharrt hektisch mit den Krallen,
kündigt das Ende eines Lebensabschnitts an.
Und bevor sie ihren Flug beginnt, versuche ich, so gut es geht, die Stadt, in der ich bin,
zu katalogisieren, in Gänze zu verstehn;
die neu gefund'nen Freunde – trotz immergleicher Axt im Kopf – als solche wertzuschätzen,
ehe jeder seiner Wege geht, wir alle ganz erwachsen sind.

Donnerstag, 6. Juli 2017

Trying to remember - trying to forget II

Heute kann ich ehrlich lachen, sodass die Falten im Gesicht sich freundlich kräuseln – ganz einfach, weil ich weiß, das alles musste halt so sein, hat alles seine Richtigkeit, macht letztlich meine Freiheit, und ja, auch meinen Frieden aus.
Auch wenn viel zu viele Jungs von früher mit den Jahren was auch immer wurden, hoffnungslose Kinder unsres kleinen Heimatdorfs, wo man mit vierzehn Jahren schon am absoluten Nichts zerbricht, sich irgendwie Sinn suchend in der Großstadtnacht verliert oder schwarzäugig auf der immergleichen Parkbank sitzend, durch die dicken Sonnenbrillengläser in Richtung Sonnenaufgang starrt, während der  Ton von Deutschrap über Handyboxen und laut zischendem Billigdosenbier kurz – viel zu kurz – auf jede Frage eine Antwort weiß.

Trotz allem bin ich dankbar für die Zeit: Nichts war mir je und wird mir je so wichtig sein. Auch wenn wir, wenn wir uns morgens in der Disco sehn, uns beinah auf die Fresse haun – ganz einfach, weil diese Art zu leben ganz selten nur ein gutes Ende nimmt.
Und während die Stadt vor dem Fenster in der Dunkelheit wie eingefroren scheint, kritzel ich eilig ein paar Zeilen aufs Papier, versuche mich, so gut es geht, an alles zu erinnern, will nichts von alledem vergessen – will das Sein an sich zu schätzen wissen.

Sonntag, 18. Juni 2017

Der Status Quo der Jugend: Ein kleines Vorsommer-Drama

Neulich, durch unbarmherzigen Frühlingsregen einen ganzen Nachmittag im Uni-Innenhof gefangen, aus Langeweile Kette rauchend, kam das Gespräch – wie auch immer – auf das, was jungen Menschen wichtig sei: Deren Werte und Ziele.
Und es fällt mir derzeit (oder schon immer) unangenehm schwer von mir selbst abzusehen. So gerne ich auch einfach über’s große Ganze schriebe – die wirklich wichtigen Dinge, die hier und dort am walten sind –, dreht sich der Blick ja doch nur wieder nach innen; formen die paar Worte, die nach so langer Zeit des Schweigens sprudelnd aus mir herausschwappen, doch nur wieder diesen einen Satz: Es fällt mir unangenehm schwer von mir selbst abzusehen.

Trotzdem zwinge ich mich den Gedanken fortzuführen: Die Werte und Ziele der Jugend.
Was mich als Erstes überkommt ist ein untragbares Gefühl von Mutlosigkeit. Niemand traut sich mehr, er selbst zu sein, es ist verpönt, ein Ich zu sein. Familien mittlerweile völlig obsolet: Der Vater eine Witzfigur, die Mutter hinter einer Wand aus weingetränktem Selbstmitleid. Beide vor dem Fernseher hängend, halb hinhörend, schräg wegguckend, das Kind ermahnend, bloß den geraden Weg zu geh'n.
Und niemand kann man einen Vorwurf machen: Der junge, motivierte Lehrer spricht von Goethe und von Hitler – streift dabei nicht mal im Ansatz die Schönheit der Sprache, die Leiden von Auschwitz. Streift noch viel weniger den Versuch, jungen Menschen beizubringen, sich selbst als Ich in dieser wirren Welt zu sehen. Streift höchstens mal den Brustansatz der traurig austauschbaren kleinen Model-Imitate, während Heidi Klum ungestraft per Volksempfänger propagiert: Du musst bloß genug Kotzen, nur für jeden Dreck zu haben sein – und schon bist du ein Mensch.
Auf derweil völlig entfesselt bunt blinkenden Social-Media-Plattformen entblößen unbeholfen volltätowierte ewige Kinder mit aufgespritzten Lippen ihre kleinen bleichen Körper für ein paar digitale Daumen: Die Trias aus Alles-Können, Garnichts-Müssen und Absolut-Beliebig-Sein.

Als zweiter Begriff bedrückt mich der vom Kollektiv oktroyierte Zwang zur Selbstverleugnung.
Hat man diese erste Phase per se nicht ernstzunehmender Eltern, seltsam blassen Lehrern und medial vermittelter Totalpsychose irgends überstanden, wird als vermeintlich mündiges Wesen in diese Gesellschaft angeblich Freier und Gleicher entlassen, stellt sich nun so endgültig wie dringlich die Frage: Was tun mit sich?
Zaghafte Möglichkeiten ungekannter Selbstwirksamkeit täten sich auf, kurz nach dem ersten Abebben des traumaartigen Schocks, tatsächlicher Möglichkeit wirklicher Freiheit.

Stattdessen: Australien oder Neuseeland? Thailand oder Laos? Ketchup oder Mayo?
Es ist so schmerzhaft irrelevant. Kein von Papa gesponserter Backpacktrip der Welt kann eine bis zur Unkenntlichkeit deformierte Seele zurück in etwas Ganzes wandeln.
An dieser Stelle daher der platte Verweis, die alte Floskel vom Fluch der Unversehrtheit: Denn wer den Bruch längst in sich trägt, der braucht ihn nicht zu konstruieren. Ein noch so vorahnungshaftes Bewußtsein der Widersprüche dieser Welt, das heißt, der Widersprüche seiner Selbst, garantiert wohl mehr oder minder den sicherst-möglichen Schutz davor, als fünfhunderttausend Follower Instagram-Account zu enden: Vor einem balinesischen Wasserfall auf einer Felsenklippe stehend; einen großen weißen Schlapphut, dazu ein keck den anorektisch-mädchenhaften Rücken umspielendes Kleid, ebenfalls in Weiß, tragend (und damit unfreiwillig komisch jeden noch so arischen Übermensch*innen Traum in den Schatten stellend). Das entweder clownesk oder aus vermeintlich feministischen Motiven gar nicht erst geschminkte Allerweltsgesicht, das zurückgebliebene kleine Mädchen kreischend beneiden und auf das Jungs allen Alters hektisch onanieren, gekonnt-gespielt in Richtung Horizont und Sonnenuntergang gedreht; mit dickem grünen Strohhalm aus einer Bio-Kokosnuss schlürfend, während die trotz tropischem Klima perfekt geglätteten, endlos-langen deutsch-deutsch blonden Haare wie in Zeitlupe eingefroren im lauen Sommerwind daherwehen. Dazu als Bildtitel irgendein unerträglich geistloser Schwachsinn, wie »don’t worry, be happy« oder »just be yourself«. Auf jeden Fall irgendetwas mit »be« und absurden Versprechungen oder Forderungen an die armen Unterdrückten im Titel tragend; und zehn Millionen Kommentare, der schönste Mensch der Welt zu sein.

Der schönste Mensch der Welt: Ein mutloses, unmündiges, sich auf seiner scheitern müssen und scheitern sollenden Selbstsuche unbeholfen selbst verleugnendes, ewig-kindliches Wesen, von stumpfer, kalter Tragik, das das genauso unausweichliche wie nicht mehr allzu ferne Ende der gesamten Menschheit schon ganz in sich enthält.

Mittwoch, 14. Juni 2017

Kurze Vorrede

Seit drei Monaten keinen Stromanbieter und nicht im dystopisch das Stadtzentrum verdunkelnden Stadthaus umgemeldet. Im Briefkasten gelegentlich gelbe Briefe mit wirren bösen Worten. Irgendetwas von bis zu zehntausend Euro Strafe. Manchmal bizarre Paranoia, für meine faule Traurigkeit bei Wasser und Brot im Kerker zu landen. Und trotz allem ergibt all das einen eher dürftigen Plot für ein noch so kleines Vorsommer-Drama.

Mittwoch, 7. Juni 2017

Ich leb meinen Jugendtraum

Im Vollmond den Baum ankotzen hat ja auch irgendwie was Magisches.
Jetzt mit zweiundzwanzig wirkt alles seltsam ruhig, wie in Zuckerwatte eingepackt.
Die Straßen Bonns wie schlecht gemalte Filmkulissen, mein Spiegelbild verzerrt.

Dienstag, 6. Juni 2017

Egozentrismus

Wenn ich in der grellen Mittagshitze auf dem abgewetzten Zahnfleisch Richtung Heimat krieche, drei Tage regungslos im vollgeschwitzen Bett rumliege – die Gedanken voll von Blut und Dreck – dann fällt mir auf, wie seltsam fremd mir diese Welt geworden ist, wie wenig Ich für mich in ihr verborgen liegt.
Schreiben ergibt derzeit kaum noch Sinn: Mein glaskristall'nes Größenselbst schiebt mich unbarmherzig vor sich her, ruht zeitgleich als Koloss im Zentrum meiner Welt, lächelt manchmal traurig hübsche Mädchen an, und liebt am Ende nur sich selbst.

Samstag, 27. Mai 2017

Happy Birthday to Myself

Meine Selbstgenügsamkeit bäumt sich auf und geht entzwei. Vorhin, durch die Innenstadt wankend, erhob sich stumm das halb zerfall'ne Bahnhofsgebäude vor dem grellen Sichelmond und Du hast Dich über mich gewundert, weil ich meinte, ich hätte einfach diese rauschhaft-schöne Sicht auf alle Dinge und auf alle Menschen, die mich, wenn ich einmal ehrlich bin, wohl meist vor schlimmerem bewahrt.
Und ich spreche trotzdem mittlerweile mehr darüber, wie ich fühle, was ich für wirre Dinge denke.
So absurd versunken in mir selbst, unangreifbar, ganz allein. Und es ist so unerträglich dumm, doch im Nachhinein tut es mir leid, Dich nicht genug geliebt zu haben.
Ein paar Vögel zwitschern leise, die Stadt wacht langsam auf. In der Wohnung über mir stampft jemand rum. Das Laptop-Display blendet. Ich muss mich selbst zum Schreiben zwingen.
Meine Kälte artet aus – manchmal hab ich Angst vor mir.

Dienstag, 16. Mai 2017

Vorsommer II

Ständig ärgere ich mich über mich selbst, weil ich schon wieder zu warm angezogen bin.
Morgens wach ich zu spät auf, verpasse Vorlesung und Seminar,
dunkle Träume hallen Stunden nach;
doch das letzte Jahr des Studiums fühlt sich seltsam heimisch an:
In der Innenstadt werde ich oft gegrüßt, lache nett und nicke kurz.

Auf der Hofgartenwiese liegend, mit dem Grün des Gras verwachsend,
lässt die Allergie die Augen jucken und Mückenschwärme tanzen wild,
eine leere Flasche Bier liegt neben meinem Rucksack rum
und blonde Mädchen kichern blöd, strecken träge ihre Arme aus.

Ich rede leise mit mir selbst, habe Angst vor irgendwas.

Vorsommer I

Die neue Wohnung fühlt sich direkt wie zuhause an
Nachts leuchten golden die Laternen Bonns
Meine Haare hängen im Gesicht herum
Der Kühlschrank voll mit Bier.

Freitag, 12. Mai 2017

Europa: Eine kritische Bestandsaufnahme

Es fällt mir überraschend schwer über Europa zu schreiben: seltsam bezugslos, befremdlich kalt, sehe ich mich diesem abstrakt-großen Gegenstand gegenübergestellt, dessen derzeit übersteigerte Wichtigkeit mir Tag für Tag verständlich gemacht werden soll.

Zuallererst denke ich, dass kein Gegenstand dieser Welt es nicht wert wäre kritisiert zu werden; dass Erhaltungswürdigkeit, soll sie nicht als leeres Wort fungieren, sich als solche zu beweisen hat.

Und Europa – nur weil Dich dieselben Menschen hassen, die ich für ihren Hass verachte, sind wir beide leider keine Freunde; nur weil eine ach so aufgeklärte Jugend, in einem spontanen Anfall unbeholfener Re-Politisierung, ihre Apathie vermeintlich überwindend, den diesmal endgültigen Untergang des Abendlandes drohend am Horizont heraufziehen sieht, erschließt sich mir nicht ganz, wie dies das pawlowsch-reflexhafte Verfassen schmerzhaft kitschtriefender Lobeshymnen auf deine heilige Unfehlbarkeit begründen könnte.

Ja, Gemeinschaft ist als Mensch das Höchste: nur gemeinsam, als gleichsam Anerkannte, sind wir frei. Und nein, ich glaube nicht, dass die sogenannten ,,westlichen Werte’’ bloß irgend-relativierbare Propaganda-Chimären von temporärer Wahrheit wären.
Doch der Angst vor dem Zerfall aller europäischer Gemeinsamkeit geht die Frage nach Substanz voraus:
Wie dicht sind die Netze, die zu reißen drohen, wieviel Last vermögen sie zu tragen?
Welchen Sinn macht subjektives Klagen, jenseits jeden Reflexionsniveaus?
Wem nützt blinde Emotion, aus einer unbestimmten Furcht heraus, man könnte uns die Freiheit nehmen, die, wenn wir einmal ehrlich sind, noch nicht mal hier für jeden gilt?

Als Kind des Friedens weiß ich nicht, was Pazifismus heißt.
Als Kind des Wohlstands ist mir Armut fremd.
Als Kind der Freiheit, Tyrannei ein leeres Wort.

Und wenn Europa genau das bedeutet:
Frieden, Wohlstand und Freiheit – für jeden Einzelnen – in ehrlich anerkannter Einigkeit:
dann bin ich Europäer, dann weiß ich jetzt, wovon ich schreibe.

Doch diesem Europa, das wir uns so gern erträumten, gilt es – vor allem durch Kritik – endlich Leben einzuhauchen; es aufzuwecken; es durchs Hinterfragen wahr zu machen;
denn kein simples Hinnehmen des Gegebenen, das bloß im Bedrohtsein kurz erträglich scheint, wird in der Lage sein dieses Europa über sich hinauszutreiben:
in eine wahrhaft freie Welt, fern von Herrschaftszwang und Ungleichheit.

Donnerstag, 4. Mai 2017

Anfang Mai

Verkatert in Bonn, der graue Himmel liegt uferlos und träge über der Stadt. Ich hänge kreidebleich in irgendwelchen Hörsälen, zitt're hektisch, gierig Wasser trinkend, beim vergeblichen Versuch, nicht allzu schnell zu kotzen. Die Deckenlampe flackert, wütend knackt die Heizung; das dunkle Holz der Wände starrt mich unversöhnlich an. Und das Einzige, was mich bei Laune hält, sind wieder mal die viel zu vielen, viel zu schönen großen blonden dürren Mädchen, mit ihren hochgesteckten Haaren und traurig-wachen Augen, in schön geschwung'ner Schrift mitschreibend, in Richtung altem Herrn Professor strahlend.

Hybris

Ich hab mich an der Schärfe meines Denkens wundgeschnitten,
bin ein entstelltes, scheues Kind,
Menschen hinter Milchglasscheiben.

Mittwoch, 3. Mai 2017

Sonntagsfrühstück II

Schon wieder besoffen in der Landesbibliothek,
Kopf gesenkt, heimlich meine Fahne schwenkend,
Adorno, Hegel, Kafka lesend.
Die Dinge sind jetzt wieder schön,
Häuserschluchten ragen gierig Richtung Himmel,
die Stadt erstrahlt in sattem Gold.

Der Frühlingsregen spült den Dreck von allen Straßen,
spült den Dreck aus meinem Kopf,
erzeugt dabei ein schlammig-trübes Meer,
das fast die ganze Welt verschluckt;
meterhohe Wellen brechen tosend auf die Straßenzüge,
hoffnungslos geworfen treibe ich umher
in wütend wirren Strudeln, den Ruinen meiner selbst.

Freitag, 28. April 2017

Sprachverwirrung

Seltsam überkommt mich das Gefühl der Gottverlassenheit,
die schöne neue Wohnung ist so groß und noch so leer,
und mir fehlen ein wenig die Worte.

Freitag, 14. April 2017

Der gordische Knoten

Kurz bin ich heute wieder Gott gewesen –
dann auf dem Heimweg unbeholfen über das Trottoir gestolpert.

Sonntag, 9. April 2017

Hanami II

Ein ungewohnt ruhiger und klarer Samstagnachmittag in Bonn:
Das quadratische Bibliotheksgebäude ragt,
grau-weiß den hellblauen Himmel kontras- sowie kastrierend,
aus diesem doch auch erst erwachsend,
aus ihm hervor,
schneidet sich – seiner selbst so absolut gewiss –
stumm und unbarmherzig, mit tiefen Schnitten durch die blaue Kuppel
(die heut mehr wie eine Leinwand wirkt) und in die Welt hinein.

Auf dem Vorhof des Gebäudes sitzen oder liegen Mädchen,
in kurzen Tops und weiten Hosen, faul auf den Steinplatten herum.
Die Frühlingssonne wärmt die ganze Stadt. 
Eins von ihnen dreht sich zu mir um –
ich werfe eine letzte Hand Studentenfutter in den Mund,
kaue lustlos darauf rum und starre stumpf zurück.
In manchen Straßen fallen Kirschblüten,
der Rhein fließt träge vor sich hin,
manchmal schwimmen Ruderer vorbei.

Mittwoch, 5. April 2017

Auf verlorenem Posten

Wenn wir Begriffe wie ZeichenMetaphysik oder Dialektik verwenden,
dann interpretieren wir die Sphären dieser Welt
grundlegend anders,
als die allermeisten andern Menschen –
und können daher von diesen
weder verlangen noch erwarten
unsere Sicht der Dinge blind zu teilen,
wenn doch jene das diese hervorbringende Werkzeug
weder kennen noch verstehen,
noch dies wollten
oder müssten.

Donnerstag, 30. März 2017

R. S.

Es ist lustig, wie sehr mein alter Herr
in seiner Welt festhängt,
wie wenig überzeugend vermittelt,
dass er wirklich fühlt, und gerne,
ach so gerne –
wenn er doch nur könnte –
ein kleines bisschen helfe.

Und ich tue es ihm gleich,
mit meinem stundenlang ins Leere Starren,
dem wochenlang allein Rumtreiben.

Absurd, wie zwei so gleichermaßen
sich sowie dem andern Fremde
sich an den Rändern ihres Einsamseins
beinahe zu berühren scheinen –
es in Wahrheit doch nie tun –
dabei dieselbe Seele sind.

Mittwoch, 29. März 2017

Drei Kreuze

Der Ernst des Denkens fällt mich an:
Die Liebe zur Vernunft –
sonst nichts auf dieser kranken Welt –
sie bleibt mir heilig.

Die Axt in meinem Kopf II

Plötzlich bricht da aus mir raus,
der Grund des Seins der Axt im Kopf –
der wieder und wieder erwachsende,
mit jedem Atemzug pulsierende,
gordische Knoten,
den mein verdrehtes Ich,
verzweifelt um Luft ringend, so zwanghaft zu zerschneiden sucht;
doch damit nichts als scheitern kann
und scheitern muss.

Ein paar letzte Zigaretten auf dem Balkon;
ein Krankenwagen fährt vorbei –
alles seltsam bedeutungsschwanger.

Mittwoch, 22. März 2017

Die Sicht des Ichs als Ich

Ich stehe barfuß auf dem Balkon und rauche. Die letzten sieben Tage eines sehr verwirrenden Jahres.
Die kahlen Bäume vor dem Versicherungsgebäude gegenüber sehen im goldenen Licht der zwischen ihren langen dürren Ästen verwachsenen Laterne ein bisschen aus, wie ausgedorrte Lungenbläschen. Die Straße atmet flach und ruhig, liegt ganz friedlich da, während ein mattschwarzer Mercedes, mit leise laufendem Motor, eine halbe Ewigkeit artig an der roten Ampel wartet. In der Etage über mir hört man vereinzelt Schritte. Gerade wurde irgendwo eine Balkontür aufgestoßen. Im Hintergrund leuchten, rot blinkend, die weit in den Himmel hineinragenden Industrieschornsteine Wesselings; pusten graue Nebelwolken in die kalte klare Nacht. Ein Fahrrad fährt, mit surrendem Licht, klappernd die Hauptstraße entlang; und ich denke dankbar an die Mädchen, mit denen ich hier, in diesem Jahr, nachts auf dem Balkon gestanden, geredet und geraucht, die Einsamkeit ein wenig vergessen habe. Kurz drängen sich, aus der Dunkelheit hervorbrechend, die viel zu vielen endlos langen, und dann doch auf unbestimmte Zeit im Nichts verschwindenden, durchgemachten Nächte auf; verlieren sich, genauso schnell, in ihrer schrägen Weltfremdheit. Der Beton unter meinen Füßen lässt mich unangenehm schnell auskühlen; ich gehe kurz zurück nach drinnen, ziehe meine neuen, mir so schnell so sehr ans Herz gewachsenen, braunen Hausschuhe an.
Plötzlich: Erinnerungen an mein altes Kinderzimmer, im ersten Stock, in dem ich früher, in endlos langen warmen Sommernächten, genauso schlaf- wie traumlos, wachlag, während der Zigarettenrauch meiner auf der Haustürtreppe rauchenden Mutter durch die hölzernen Fensterläden und die viel zu dünnen, einfachverglasten Fenster hindurch hineinzog.
Als Kind habe ich immer lange wachgelegen und den blinkenden Lichtern der am Horizont vorbeiziehenden Flugzeuge hinterhergeschaut, während das Flurlicht durch die nur leicht angelehnte Zimmertür hindurch ein schmales helles Dreieck in die Dunkelheit des Raumes malte.
Ich habe in diesem Leben nichts beruhigenderes erlebt.
Deswegen habe ich auch heute Abend die Balkontür offen stehen gelassen, um jetzt, erneut im Bett liegend, ein kleines bisschen Restzigarettenrauch, in der Wohnung, dieses fast vergessene, vergilbte Gefühl heraufbeschwören zu lassen.
Bald wird das alte Haus abgerissen, und diese eine, ganz konkrete Perspektive, der Blick aus dem großen Küchenfenster auf die im Hintergrund in den Himmel hineinragenden Baumkronen, wird sich, wie so vieles hier, auf Nimmerwiedersehen im Nichts verlieren; auch wenn die Bäume selbst ja stehenbleiben, nur dann bloß gänzlich unbetrachtet, für keinen Geist der Welt von Wert.
Und irgendwie fühl' ich mich seltsam ruhig; meine Getriebenheit verliert sich, ohne großes Klagen, in dieser ersten, noch recht kalten Frühlingsnacht, und ich bin mir sicher, dass wenn morgen früh der Wecker schellt, die Sonne scheint, und Vögel singen, und alles seltsam wirklich ist.

Freitag, 10. März 2017

Keine Schuhe an den Füßen dafür Ouzo im Arm

Ich kleb schon wieder regungslos vorm Rechner,
während hinter zugezogenen Vorhängen
verregnete Tage und verregnete Nächte
unbemerkt vorbeiziehen;
hätte eigentlich zwanzig Seiten über meinen heißgeliebten Hegel zu schreiben
und das uferlose Meer aus Dreck und Müll und Pfand,
mosesgleich, mit ein-zwei Schneisen, Richtung Küche, Flur und Bad
zu teilen und mich endlich darum zu kümmern, schnellstmöglich aus
diesem schmerzhaft sterilen Wohnheim auszuziehen
und mir mehr Mühe zu geben, Dir zu zeigen, dass ich Dich mag –
und auch wenn ich genau das seit Jahrmillionen schreibe,
wohl am Ende immer in meinem sturen Kopf stecken bleibe –
ist trotz allem alles weiterhin so seltsam ruhig und seltsam klar –
und irgendwie bin ich mir sicher,
dass, auch wenn es sich wird zeigen müssen, die Dinge langsam besser werden.

Freitag, 17. Februar 2017

You're always ahead of the rest

Ich hab' nach gefühlten Jahren des Hoffens
und Planens und Bangens,
endlich meinen Glaspfandwald abgeholzt und
auch wenn das jetzt keine kluge Wortneuschöpfung
ist, ist es doch lustig, dass allein schon etwas mehr als
eine Woche Schlafen, Essen,
nicht andauernd nur besoffen
oder auf zu viel Atarax® zu sein,
ausreicht, wieder klar im Kopf zu kommen –
so widerlich kristallglasklar,
dass auch das mir dann,
wie immer halt,
alsbald schon viel zu viel wird.

Und meine Traurigkeit wächst mit mir selbst
in mein verdrehtes Ich zurück:
Krallt sich dabei an mir fest, mit ihren buntgefärbten Hurennägeln;
spreizt, mich abgrundtief verachtend, ihre beiden bleichen Schenkel;
spuckt mir gurgelnd, sabbernd, voller Liebe,
Stauseen aufgeschäumter Speichelfäden ins Gesicht –
beißt mir metertief ins Fleisch,
frisst sich ganz durch mich hindurch.

Und ich bin mittlerweile alt und schwach,
kann mein unverdientes Glück kaum fassen,
wenn sich von Zeit zu Zeit
irgendein bleiches, trauriges Prinzesschen
in mein zu schmales Bett verirrt
und dabei rettungslos in meinem trüben Blick,
dem ganzen wirren Quatsch,
den ich, aus Angst mich aufzulösen,
so unaufhaltsam sag,
verliert.

Wie vor dem Eingang zur Hölle

Hatte scheinbar meine Sterblichkeit vergessen – lustig, irgendwie.

Dienstag, 14. Februar 2017

Trister Winter

Und plötzlich lauf ich doch mit zwei Promille heim,
seh die wunderschönen Dächer dieser Stadt,
die ich, nach einem Jahr,
so in mein Herz geschlossen hab
und denk mir:

Wäre das dein letzter Tag –
von mir aus,
wär okay.
Und ist er's eben nicht:
Junge, schreib! –
Gottverdammte Scheiße, schreib,

als stünd dein schräges Leben auf dem Spiel.

Donnerstag, 26. Januar 2017

Deprimiert Sein

Wenn es mir schlecht geht, zittern meine Arme komisch
und ich werf immer alles um,
schütte beim Versuch zu trinken Wasser auf mein Shirt
und Wasser ins Gesicht,
fühl mich dann ob dessen doppelt dumm.
Hab es letztlich neulich und dann heute
aus Versehen fertiggebracht,
meine beiden über alles geliebten,
handgetöpferten japanischen Tonteetassen zu zerstören,
auf die, wenn schon nicht auf mich, aufzupassen
ich mir doch geschworen hatte,
auf deren Boden sich schon eine so unendlich schöne
Patina gebildet hatte,
Jahre des Teetrinkens nacherzählend.

Und ich trinke zu viel und schlafe zu wenig,
träume nichts als kranken Kram –
bin trotzdem dankbar für jede Empfindung,
jeden einzelnen Gedanken –
alles so viel besser als das Nichts.

Ich und die Andern IV

Ich wär so gern einfach ein großes dürres blondes Mädchen,
das traurig, verängstigt und zitternd im Bus steht
und dabei schrecklich schön aussieht.

Dienstag, 24. Januar 2017

Ich und die Andern III

Und ich kämpfe jeden Tag bis zum Erbrechen –
liege dabei doch nur regungslos im Bett;
die Wohnung voll mit Müll, in der Spüle dreckiges Geschirr;
das Aufbäumen kostet Kraft –
es ist alles andere als leicht für mich,
in den Bereich von meinem schrägen Ich
durchzudringen,
im Ansatz zu empfinden, was ganz unten,
was ganz innen,
kreucht und fleucht und tobt.

Und ich war nicht so naiv und dachte
ich könnt Dich retten –
doch es ist so unerträglich fad zu wissen:
Alles wie gehabt / nichts mehr wie es war:
Du machst durch und ich mach durch /
nur Du halt ohne Mich und ich dann ohne Dich;
und dann sitzt man irgendwo
und denkt nicht recht und fühlt nicht recht,
klebt ewig auf der Stelle fest.

Und mein gestörter Geist dreht sich
im immergleichen Kreis,
hängt fest am immergleichen Quatsch –
dem Sex, dem Speed und diesem Augenblick,
in dem zwei völlig isolierte Seelen
dann doch zu einer Einheit wurden,
die heut noch wie ein Fels
im Zentrum meiner Welt
rumsteht,
auf Brust und Herz eindrückt.

A.) Weltschmerz, künstlich aufgebauscht;
B.) untragbare Jesus-Manie-Schübe, in denen ich mich
bis zum Grunde meines Seins auflöse und
als nichts als reines Mitgefühl
vor Trauer über alles und Trauer über nichts
unrettbar in mir selbst ertrinke, in der Tragik dieser Welt versinke;
C.) völlig isolierter Soziopathiewahnsinn, nichts empfindend als Verachtung
für alles was ich bin und jemals war und werde hätte sein gekonnt –

und das aller aller Schrägste ist, die Synthese aus dem drei,
das, was ich dann letztendlich bin:
Der Gedanke, die Gewissheit:
Ich weiß ich weiß ich weiß, weiß von ganzem Herzen:
Ich leb dieses Leben nicht zum ersten Mal,
bin in Wahrheit tausend Jahre alt.

Und ich glaube nicht an Gott,
glaub nicht an die Vernunft,
glaub am allerwenigsten an mich –
und trotz allem gilt:
Ich leb dieses Leben nicht zum ersten Mal,
weiß, dass das alles hier kein gutes Ende nimmt.

Ich und die Andern II

Plötzlich finde ich mich wieder, in diesem absoluten Zustand
der Selbst-Genügsamkeit –
wenn ich auf zu viel Kaffee und
zu viel Nikotin,
durch die ULB schwebe, vier-fünf Stunden Hegel lese,
dabei selbst nicht weiß warum
und darüber denke, wie schön es ist, sich kurz mal
aufzulösen und Eins zu werden, mit der Welt
und all ihren Bewohnern –
beim Schlafen träum ich wieder, mein Narrativ geht langsam weiter.

Samstag, 14. Januar 2017

Erwachsen Sein II

Das Nicht-Schreiben-Können pocht im Hirn wie ein Tumor
Wieder im Nachtzug Richtung Köln, das Braungrau der Sitze
Potenziert die Übelkeit – Ich bleibe Ich, trotz allem, komme nicht aus meiner Haut.