Mittwoch, 30. Mai 2018

02:07

Der Vollmond starrt mich gierig an,
über der Stadt hängt tief ein Wolkenschleier
und Atlas trägt die Welt auf seinen Schultern.

Dienstag, 22. Mai 2018

Renn ruhig schneller

Das Gefühl von Liebe mag dir als Gefahr,
als Ende deines Selbst,
bestenfalls als Kompliment erscheinen;
was in Wahrheit einfach davon abhängt, wo du gerade stehst,
und noch viel mehr mit wem.

Doch, was niemand hier vergessen sollte, ist,
dass der Tod nie eine Antwort, noch viel weniger ein Ausweg;
das Leben selbst – trotz allem – lebenswert verbleibt:
Also halte deine kleine kranke Seele,
trotz jedem ach so schweren Herzensbruch,
zumindest frei vom Elend der Vergangenheit.

Montag, 21. Mai 2018

Selbstreflexive Rahmenbedingungen als Treppenwitz der Wirklichkeit

Danke Edgar, dass Du mir beigebracht hast, dass es manchmal Rahmenbedingungen gibt, die man nicht ändern kann und dass man gut daran tut, diese als solche zu akzeptieren; als wir an irgendeinem Abend oder Morgen in Schmerbroich auf dem Parkplatz standen, den es mittlerweile nicht mehr gibt und ich und mein Bruder nach Hause mussten, weil wir beide noch minderjährig waren und wir darüber sprachen, dass wir trotz allem – wenn die ganze schlimme Zeit irgendwann vorbei sein sollte – ungebrochen Freunde bleiben. –
Begann ich, als ich im Zug von Köln nach Hause saß, in mein Textbuch einzutragen. Bis mein Stift den Geist aufgab. Kurz war ich wütend, dann musste ich lachen. Ich hoffe, es geht Dir gut.

Hanami III

Schlaflos durch die Straßen Bonns am schwanken –
alles voll von Kirschblüten –
begann Atlas zu atmen, und wuchs auf Weltengröße an.

Donnerstag, 3. Mai 2018

Zwei Menschen

Ich bin aus dem Heimatdorf nach Bonn gezogen. Bin, wenn man so will, der Stimme der Vernunft gefolgt, um – statt in verrauchten Kellerzimmern oder völlig breit, auf irgendwelchen Bänken – im Geist selbst zu versinken: Das Philo-Institut als Therapeutencouchersatz.
Ganz einfach, weil ich weiß wie sich Gottverlassen-, Ganzalleinsein anfühlt: Eine Kindheit, festgeklebt im Wohnzimmer, eingehüllt in angebranntes Fertigdosenessen und sediert vom Free-TV verbracht. Und bis heute fühlen sich die immer gleichen Werbeclips irgendwie realer an als der ganze Rest der sogenannten Wirklichkeit. Nur dieses eine, alles usurpierende, mich komplett fragmentierende Gefühl, das ist geblieben: Völlig in mir selbst versunken, Dornenkronenkönig meiner kleinen kranken Welt.
Und auch wenn ich nach außen hin, das wirre Innere verleugnend, mittlerweile wie ein ruhiges Wasser wirke – zuweilen sogar ehrlich lache – bleibe ich, vom Wesen her, zumindest dieses Leben lang prekär. Ein bloßes Partikel der Menge an kaputten, verwahrlosten Herzen, in denen Nacht für Nacht der Takt der Stadt pulsiert und pocht und zuckt, bis alles drückt und zerrt und zum Schreiben oder Saufen oder beidem zwingt. Der Kopf zum Bersten voll.
Und dennoch ist mir hier, in der ehemaligen Hauptstadt, wider Erwarten gleich ein ganzes Dutzend Anderer begegnet, an denen ich gewachsen bin und die mich, warum auch immer, akzeptieren, so gut es eben geht und sich nur manchmal, still für sich, denken, dass das alles schon sehr wirr wirkt.

Und ich kenne da diesen Typen, der es ein wenig schwerer, der, in dieser Stadt, nicht ganz so viel Glück wie ich, vielleicht, gefunden hat. Der mich am Bahnhof nach Geld fragte, dabei so herzzerreißend freundlich, kaum älter als ich selbst war. Wir sind dann ins Gespräch gekommen: über das Leben in Bonn – die Menschen – die Liebe.
Und ich kenne da diesen Typen, der dann irgendwann in meiner Bahnhaltestelle gepennt hat. Und wenn ich mitten in der Nacht oder morgens früh vom Feiern heim kam, dann haben wir von meinen Kippen geraucht und dagesessen; in der Winterkälte eingesunken, eng von dichtem Qualm umschlossen: Zwei Menschen, grundverschieden, doch letztlich beinah beieinander: Zwei Bonner bei Nacht, die einfach irgendwie ein wenig eigen sind. Und so vergingen Wochen nächtlicher Gespräche.
Bis ihm beide Beine anfingen wegzufaulen und er erst am humpeln und dann lange weg war. Sodass ich mir schon Sorgen machte, um diesen furchtbar netten Typen, der so zart wirkt wie ich selbst und dabei doch eigentlich ganz unzerstörbar.
Dachte ich zumindest, still für mich, wenn ich nachts in meinem sich’ren Haus und unter meiner warmen Decke lag.
Und ich kenne da diesen Typen, der dann irgendwann wieder am Bahnhof rumhing, verändert, verwirrt, plötzlich auf Hilfe angewiesen.

Und heute – nachdem der Frühling kam und mit seinem alles durchziehenden, pinkfarbenen Kirschblütengewitter ungefragt die Innenstadt geflutet hat – sitzt er wieder, neben Menschen in kurzen Hosen, die Eis essend, Sonnenbrillen tragend oder gut gelaunt, gut gekühlte Biere trinkend durch die Gegend schlendern, in derselben schmalen Gasse, in der wir zum ersten Mal geredet, uns irgendwie, ganz vielleicht, ein klein wenig kennengelernt haben. Lächelt freundlich, fast wie früher, von seinem Rollstuhl aus in meine Richtung.

Und manch einer findet in der Stadt sein Glück – der andere verliert hier beinah beide Beine.
Jeder für sich so unerträglich einsam im eigenen Kopf. Nur, für den andern, für den hat es unendlich viel Wert und mehr Bedeutung als man sonst wo findet, vielleicht zumindest ein paar Cent und ein paar nette Worte anerkannt zu kriegen.