Samstag, 16. Mai 2015

Das Kind

,,Ich denke gerade darüber nach, wie unendlich dumm sich die Geräusche anhören, die aus deinem Mund kommen, wenn du die Lippen auf und ab bewegst'' -
sagt der blonde Junge, der mit vor der Brust verschränkten kleinen Ärmchen, auf dem Boden der Straßenbahn sitzend, wie mechanisch, seine beiden, von bunten Turnschuhen umschlossenen Kinderfüße, abwechselnd gegen die geschlossenen Türen hämmert - zu seiner Mutter.
Als diese ihm entgegnet, sie könne ihm das Videospiel ''ab 12'', aufgrund der darin enthaltenen Gewaltinhalte, erst kaufen, sobald er in die sechste Klasse ginge, wird sie, mit der Begründung, dass dies ja noch mindestens zwei Jahre wären, eine Fotze genannt.
Die jüngere Schwester kniet, einen marienkäfeförmigen Rucksack auf dem Rücken, neben dem Jungen, und versucht ihn durch an den Haaren ziehen zum Aufstehen zu bewegen. Beide ineinander verschlungenen Kinder sehen bei ihrem rhythmischen Vor- und Zurückwanken eher aus wie im Spiel, als wie im Kampf miteinander.
Ein hinzueilender Alkoholiker bietet ungefragt seine Hilfe an, indem er dem Jungen halbherzig bis rüpelhaft am Arm reißt. Die verzweifelte Mutter versucht erfolglos, das selbstlose Angebot, wieder und wieder leise dankend, abzulehnen.
Die Bahn hält quietschend an, Türen springen auf, Menschen strömen hinein, strömen hinaus, der Junge schreit, die Schwester zerrt, der Trinker stinkt, die Mutter fleht - und ich?
Ich lache, und lache und lache, als betrachtete ich ein eigens zu meinem Vergnügen aufgeführtes Theaterstück.
Endstation - der Junge trottet mit gesenktem Kopf vor seiner ihn ungeduldig schiebenden Schwester her, und ich versuche gerade noch mich aufzulösen, doch schaffe es nicht schnell genug, um dem traurigen Blick der Mutter zu entgehen.

Der Soldat

Zwischen knallenden Maschinengewehrsalven und klirrend auf den überhitzten Wüstenboden fallenden Patronenhülsen, hörte niemand die viel zu lange unterdrückten, orgasmisch schluchzend ausgestoßenen Ohnmachtsschreie, die sich, erstmals in diesem Leben zu Wort kommend, im Deckmantel des umherspritzenden Blutes, unbemerkt aus seiner Seele wanden, wie Regenwürmer, deren fleischfarbene Köpfe sich unter prasselndem Regen vorsichtig tastend aus schlammigem Erdboden erheben.

Zurück in der Kleinstadt lächelt er, mit aufgequollenem Gesicht entrückt auf dem Gehweg stehend, in Richtung des wolkenverhangenen Himmels und seine glasigen Augen leuchten, wie die eines kleinen Kindes, beim ersten Zirkusbesuch. Die rechte Hand umklammert liebevoll schützend die Flasche, die Linke liegt irgendwo anders, vermutlich sehr weit weg.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Die kräftige Aurore

Damals - als man, wenn die Morgenröte zähflüssig aus den Adern des Himmels tropfte -
stillschweigend dachte - ,,noch eine Handvoll Pillen, wird das Loch im Herz schon richten'' -
und wir, schwarzblauäugig, wie wir waren, uns der Idee verweigerten,
einen Lebensentwurf zu formen, der ja doch nur scheitern kann, und scheitern wird -
schmeckte die Sommerluft, auf eine unbeschreibliche Weise, so unendlich viel süßer.

Montag, 11. Mai 2015

Danke, danke, danke!

Sind Trauer und Angst auch nur eine Sekunde verschwunden
bläht mein Ego sich sofort auf
sie gucken, sie glotzen, sie gaffen; na und, Hauptsache sie schauen mich an

Mittwoch, 6. Mai 2015

Jahrmarktbesuch

Mein Leben
eingepackt in wohlig warmer Zuckerwatte
an deren Fäden die Worte verenden wie Fliegen im Netz