Sonntag, 18. Juni 2017

Der Status Quo der Jugend: Ein kleines Vorsommer-Drama

Neulich, durch unbarmherzigen Frühlingsregen einen ganzen Nachmittag im Uni-Innenhof gefangen, aus Langeweile Kette rauchend, kam das Gespräch – wie auch immer – auf das, was jungen Menschen wichtig sei: Deren Werte und Ziele.
Und es fällt mir derzeit (oder schon immer) unangenehm schwer von mir selbst abzusehen. So gerne ich auch einfach über’s große Ganze schriebe – die wirklich wichtigen Dinge, die hier und dort am walten sind –, dreht sich der Blick ja doch nur wieder nach innen; formen die paar Worte, die nach so langer Zeit des Schweigens sprudelnd aus mir herausschwappen, doch nur wieder diesen einen Satz: Es fällt mir unangenehm schwer von mir selbst abzusehen.

Trotzdem zwinge ich mich den Gedanken fortzuführen: Die Werte und Ziele der Jugend.
Was mich als Erstes überkommt ist ein untragbares Gefühl von Mutlosigkeit. Niemand traut sich mehr, er selbst zu sein, es ist verpönt, ein Ich zu sein. Familien mittlerweile völlig obsolet: Der Vater eine Witzfigur, die Mutter hinter einer Wand aus weingetränktem Selbstmitleid. Beide vor dem Fernseher hängend, halb hinhörend, schräg wegguckend, das Kind ermahnend, bloß den geraden Weg zu geh'n.
Und niemand kann man einen Vorwurf machen: Der junge, motivierte Lehrer spricht von Goethe und von Hitler – streift dabei nicht mal im Ansatz die Schönheit der Sprache, die Leiden von Auschwitz. Streift noch viel weniger den Versuch, jungen Menschen beizubringen, sich selbst als Ich in dieser wirren Welt zu sehen. Streift höchstens mal den Brustansatz der traurig austauschbaren kleinen Model-Imitate, während Heidi Klum ungestraft per Volksempfänger propagiert: Du musst bloß genug Kotzen, nur für jeden Dreck zu haben sein – und schon bist du ein Mensch.
Auf derweil völlig entfesselt bunt blinkenden Social-Media-Plattformen entblößen unbeholfen volltätowierte ewige Kinder mit aufgespritzten Lippen ihre kleinen bleichen Körper für ein paar digitale Daumen: Die Trias aus Alles-Können, Garnichts-Müssen und Absolut-Beliebig-Sein.

Als zweiter Begriff bedrückt mich der vom Kollektiv oktroyierte Zwang zur Selbstverleugnung.
Hat man diese erste Phase per se nicht ernstzunehmender Eltern, seltsam blassen Lehrern und medial vermittelter Totalpsychose irgends überstanden, wird als vermeintlich mündiges Wesen in diese Gesellschaft angeblich Freier und Gleicher entlassen, stellt sich nun so endgültig wie dringlich die Frage: Was tun mit sich?
Zaghafte Möglichkeiten ungekannter Selbstwirksamkeit täten sich auf, kurz nach dem ersten Abebben des traumaartigen Schocks, tatsächlicher Möglichkeit wirklicher Freiheit.

Stattdessen: Australien oder Neuseeland? Thailand oder Laos? Ketchup oder Mayo?
Es ist so schmerzhaft irrelevant. Kein von Papa gesponserter Backpacktrip der Welt kann eine bis zur Unkenntlichkeit deformierte Seele zurück in etwas Ganzes wandeln.
An dieser Stelle daher der platte Verweis, die alte Floskel vom Fluch der Unversehrtheit: Denn wer den Bruch längst in sich trägt, der braucht ihn nicht zu konstruieren. Ein noch so vorahnungshaftes Bewußtsein der Widersprüche dieser Welt, das heißt, der Widersprüche seiner Selbst, garantiert wohl mehr oder minder den sicherst-möglichen Schutz davor, als fünfhunderttausend Follower Instagram-Account zu enden: Vor einem balinesischen Wasserfall auf einer Felsenklippe stehend; einen großen weißen Schlapphut, dazu ein keck den anorektisch-mädchenhaften Rücken umspielendes Kleid, ebenfalls in Weiß, tragend (und damit unfreiwillig komisch jeden noch so arischen Übermensch*innen Traum in den Schatten stellend). Das entweder clownesk oder aus vermeintlich feministischen Motiven gar nicht erst geschminkte Allerweltsgesicht, das zurückgebliebene kleine Mädchen kreischend beneiden und auf das Jungs allen Alters hektisch onanieren, gekonnt-gespielt in Richtung Horizont und Sonnenuntergang gedreht; mit dickem grünen Strohhalm aus einer Bio-Kokosnuss schlürfend, während die trotz tropischem Klima perfekt geglätteten, endlos-langen deutsch-deutsch blonden Haare wie in Zeitlupe eingefroren im lauen Sommerwind daherwehen. Dazu als Bildtitel irgendein unerträglich geistloser Schwachsinn, wie »don’t worry, be happy« oder »just be yourself«. Auf jeden Fall irgendetwas mit »be« und absurden Versprechungen oder Forderungen an die armen Unterdrückten im Titel tragend; und zehn Millionen Kommentare, der schönste Mensch der Welt zu sein.

Der schönste Mensch der Welt: Ein mutloses, unmündiges, sich auf seiner scheitern müssen und scheitern sollenden Selbstsuche unbeholfen selbst verleugnendes, ewig-kindliches Wesen, von stumpfer, kalter Tragik, das das genauso unausweichliche wie nicht mehr allzu ferne Ende der gesamten Menschheit schon ganz in sich enthält.

Mittwoch, 14. Juni 2017

Kurze Vorrede

Seit drei Monaten keinen Stromanbieter und nicht im dystopisch das Stadtzentrum verdunkelnden Stadthaus umgemeldet. Im Briefkasten gelegentlich gelbe Briefe mit wirren bösen Worten. Irgendetwas von bis zu zehntausend Euro Strafe. Manchmal bizarre Paranoia, für meine faule Traurigkeit bei Wasser und Brot im Kerker zu landen. Und trotz allem ergibt all das einen eher dürftigen Plot für ein noch so kleines Vorsommer-Drama.

Mittwoch, 7. Juni 2017

Ich leb meinen Jugendtraum

Im Vollmond den Baum ankotzen hat ja auch irgendwie was Magisches.
Jetzt mit zweiundzwanzig wirkt alles seltsam ruhig, wie in Zuckerwatte eingepackt.
Die Straßen Bonns wie schlecht gemalte Filmkulissen, mein Spiegelbild verzerrt.

Dienstag, 6. Juni 2017

Egozentrismus

Wenn ich in der grellen Mittagshitze auf dem abgewetzten Zahnfleisch Richtung Heimat krieche, drei Tage regungslos im vollgeschwitzen Bett rumliege – die Gedanken voll von Blut und Dreck – dann fällt mir auf, wie seltsam fremd mir diese Welt geworden ist, wie wenig Ich für mich in ihr verborgen liegt.
Schreiben ergibt derzeit kaum noch Sinn: Mein glaskristall'nes Größenselbst schiebt mich unbarmherzig vor sich her, ruht zeitgleich als Koloss im Zentrum meiner Welt, lächelt manchmal traurig hübsche Mädchen an, und liebt am Ende nur sich selbst.