Samstag, 2. November 2019

Zweisamkeit

Wir haben auf einer Parkbank am Rhein gesessen und geredet, an irgendeinem Frühlingssamstag, als die allerersten Blütenpollen zitternd durch die Gegend stoben und im Hintergrund ein leises Niesen zuckte. Aus den Wiesen wuchsen bunte Menschenberge und das Gespräch kam auf den Umstand, dass man immer irgendwie entfremdet ist, selbst vom allerbesten Freund: Da bleibt stets dieser Schleier, das Wachs auf dem Gesicht, ein Glaskristallgebilde zwischen allen Menschen.
Und wie wir so dort saßen, zu viel billiges Bier tranken und noch mehr schlecht gedrehte Kippen rauchten, da ging uns irgendwann wohl auf, dass man das gar nicht ändern kann; man im Kern halt ist, wie man so ist, und wir dennoch prächtig beieinander sitzen, selbst wenn Stirnfalten Schatten werfen und ein schweres Seufzen durch die Worte zieht.
Es scheint, Erwachsensein bedeutet, nicht zwanghaft nach dem Sinn zu suchen – sagst Du und schielst mit trübem Blick an mir vorbei –, nicht dauerhaft nach seinem »wirklich wahren Ich« zu fragen, sondern vielmehr, einfach einzusehen, dass es da immer Menschen geben wird, die neben Dir und um Dich rum ihr Dasein fristen und Dir voll von herzgebroch'ner Ehrlichkeit vermitteln wollen: Es ist schon okay so, wie Du bist.
Ich schaue angestrengt zurück und nicke kurz. Alles in mir drin vibriert. Seltsam wirklich scheint das Himmelblau. Dann lache ich und sage nichts – und hoffe, dass Du weißt, dass ich trotz allem dankbar bin, dass Du bis heute an den Wert von meinem Leben glaubst, mir mit Deinen schönen Worten eine Art Zuhause baust.

Und an dieser Stelle könnte der Text auch eigentlich vorbei sein.
Doch wie das Leben so spielt, kam aus dem Nichts die Einsamkeit. 
Bis ich erneut zu denken und erneut zu fühlen anfing.
Und irgendwann kamst wieder Du.

Wir haben über Freiheit geredet, durch die Weinberge des Ahrtals wandernd, an irgendeinem Sommersamstag. Und es fühlte sich ernüchternd an, die Wirklichkeit zu seh‘n: Dass es da vorerst nichts zu retten gibt, als das Recht darauf, Person zu sein.
Spätnachts hast Du mir dann gesagt, dass Du mich in der Zukunft siehst, wie mein Potential dort Wurzeln schlägt. Worauf ich nervös zu dementieren anfing: Dass ich seit langem schon nicht handeln kann, bloß stumpf und still im Leerlauf leide. Da meintest du, lakonisch, wie Du bist, dass ich ja dennoch denken kann.
Das stimmt. Ich habe mir Gestalt gegeben, bin ein Teil von dieser Welt geworden: Vom Luftschlosstraum zur Wirklichkeit. Das ganz abstrakte Alles-nur-vernichten-Wollen scheint bloß blass am Horizont.
Und Du schaust mich schweigend an, sodass ich glaube, mir zu wünschen, dass Du verstehst, was in mir tobt. Ein Zustand seltener Verbundenheit: Bei Dir bin ich ich selbst und denke, dass das wertvoll ist und bleibt.

Wir haben über das Nichts geredet, als wir an irgendeinem Herbstsonntag durch blutigrote Buchenwälder streiften. Du hast Dich bei mir eingehakt und mir gesagt, dass Du Dich bei mir sicher fühlst. Da musste ich an früher denken und war kurz ein bisschen traurig.

Und wir haben auf Deinem Balkon gesessen und stumm die Plattenbauten angestarrt, am aller tiefsten Wintertag; der Horizont ein Meer aus Schnee. Weit unten zogen kleine Menschenwesen Spuren durch das Weiß. Um uns herum ein Netz aus Tabakqualm. Wir beide eingewickelt in dicke Stoffdecken.
Für einen Augenblick, da stand die Zeit still. Ein bisschen Glück lag in der Luft.

Am Ende bin ich eingeschlafen. Betrunken vor lauter Liebe. Für Dich. Und für die Welt.