Samstag, 12. April 2014

Von Allem zu viel

Er steht wie jeden Abend vollkommen erschöpft von der Arbeit an dem ewig gleichen Gleis des U-Bahnhofs und wartet auf die ratternde Blechdose, die ihn zurück in seine Heimatstadt transportieren soll. Auf Stirn und Rücken bilden sich im Sekundentakt Schweißperlen, die geräuschlos zu Boden tropfen und aus den verkrampften Händen treten dunkelblaue Adern hervor.
Plötzlich ist da dieser eiskalte Windhauch, der von hinten angeschlichen kommt und ihm sanft und ölig über Stirn, Nacken und Ohren streicht und unmissverständlich die Melodie von eintausend Blicken summt. Er schluckt nervös und der letzte Rest Speichel rinnt die verdorrte Kehle hinunter, während er seinen Kopf so sehr senkt, dass sein Kinn ihm fast auf die Brust schlägt. Als er die Augen schließt, sieht er einen rasenden Strudel aus gleißendem Licht, begleitet von einem lauten Knall, der ihm die Augen sofort wieder aufreißt. Der Versuch sich nicht zu bewegen kostet ihn den letzten Rest der längst verbrauchten Kraft.
Vorsichtig hebt er den Kopf und neigt ihn langsam zur Seite um einen Blick auf die Umgebung zu erhaschen. Das Bild, das sich dann seinen Augen bietet, ist ungeheuerlicher als alles, was er sich in seinem Fieber jemals hätte erträumen können: Hunderte gesenkter Häupter, die wortlos auf das stumpfe Leuchten ihrer Handydisplays starren. Niemand spricht und niemand blickt. Selbst sein die stille Szene zerreißendes wahnsinniges Lachen führt nicht zu einem einzigen verwunderten Blick.
Wir leben in einer wirklich schlechten Zeit für Paranoia.