Samstag, 16. März 2019

Bilsenkraut

Ich will den Worten ihren Wert wiedergeben, die verfangen im Stacheldraht der Wirklichkeit ihr dröges Dasein fristen, tagein tagaus von unbedachtem Geist getreten – derweil ich im Rotweinozean ersaufe, käferartig durch die Wohnung krieche. Die Zimmerdecke wächst ins Grenzenlose, mein Dasein hier verflüchtigt sich: tropft leise aufs Papier – dem allerletzten Herbstlaub gleich – von feuchtem Schnee bedeckt.

Ein Tintenschwall schwappt aus dem Kopf, in den mir stur der Vollmond sticht. Irgendwann dann geht die Sonne auf. Der Raum randvoll mit Licht und Staub und Einsamkeit. Vor dem Fenster zucken Schatten, im Hausflur flüstern Stimmen.
Wie ein Reh im Scheinwerferlicht, wie ein Fuchs in der Falle, rotiere ich verstört auf der Stelle, verletzt in Decken und Kissen versunken. Meine meilenweite Bettenburg – mein kleines Dornenkronenkönigreich verschluckt mich ganz und spuckt mich aus, in Richtung stark verzerrter Außenwelt.
Das darf doch nicht mein Leben sein. Ich springe wie getreten auf und stolper hektisch vor die Tür. Der Flur ist stumm und leer. Die Welt zieht dicke Fäden, verschwimmt grob an den Rändern – indes der Rhein als träges braunes Einerlei ganz langsam durch die Straßen fließt.

Zwei Beine staksen stumpf zur Straßenbahn, darauf folgt eine nervenüberreizte Fahrt.
Es ist Freitagmittag, meine ich, vor dem Universitätsschloss stehend, in dem ich glaube zu studieren. Ein Spätwintersprühregen setzt die alte Hauptstadt unter Wasser und Studenten treiben plump umher. Kirschblütenstürme wirbeln wütend durch die Luft.
Den zerknüllten Seminarplan in der bleichen Hand, fragt ein komplett durchnässter Erstsemester, ob ich mit mir im Reinen sei, dann treibt er weiter Richtung Horizont – und langsam überkommt mich das Gefühl, in einem wirren Traum versackt zu sein. Mein Bewußtsein strampelt hoffnungslos nach vorn, ringt wie im Fieberwahn nach Luft.

Stille. Dann ein lauter Knall. Ich erwache schweißdurchnässt. Die Stelle neben mir im Bett ist leer, bis auf ein kleines bisschen Traurigkeit. Vor dem Fenster bleckt der Vollmond seine Zähne, der Himmel blutverschmiert.