Freitag, 6. November 2015

Rheinufer im Herbst

Wie gern ich dich damals hatte.
Komisch, dass wir uns trotzdem
so sehr auseinander gelebt haben.
Als ich schlingernd wirr am landen
war, hobst du gerade ab - bist
irgendwie davon geflogen.
Ich hab dich nicht vergessen, weiß
noch heute das Gefühl, als wir
zusammen den Rhein entlang
spazierten; einen ganzen Nachmittag.
Wie es dann zu regnen anfing, ich
mich erst nasstropfen lies, nur um
dann doch, mit purpurrotem Kopf,
neben dir und unter deinem Schirm
zu landen. Wie wir einfach weiter
gingen, vorbei an deiner alten Schule
und den hohen Häusern des
Regierungsviertels. Wie ich dann,
aufgeregt, verängstigt, ohne genug
Mut, um deine weiße Hand zu halten,
mit und neben dir, auf dem
Bordstein, vor dem Haus stand. Wie der
Regen plätschernd auf den Schirm und
von ihm in den Rinnstein tropfte.
Wie das Wasser Schuhe,
Socken, Füße ganz durchnässte;
und man heute, von der
Retroperspektive aus, glauben könnte,
zu erkennen, wie hier,
an seinem Ende stehend,
ein in sich abgeschlossenenes Kapitel,
eines splitterhaften Lebens,
weggespült worden wäre, um irgendetwas
Neuem - durch das seltsame Scheinen,
der seltenen Momente, in denen Kunst
und Welt untrennbar sich vermischen -
Platz zu machen. Wie ich mich
nicht traute, dem Willen nachzugeben,
dich zu Fragen, ob es für dich
akzeptabel wäre, käme ich -
wegen all dem Regen - noch mit rein,
zu dir und schliefe auf dem Boden,
weil ich dachte, das würde dir, vielleicht
zu nahe gehen, irgendetwas verdeckt
zwischen uns Waltendes zerstören.
Wie ich dann stattdessen, mit
vollgesogenen Klamotten, den weiten
Weg zum Nachtbus lief und dann,
in diesem sitzend, eine Stunde
bis zum Bahnhof fuhr, während ich,
auf der letzten freien Seite, meines
kleinen ledernen Kalenders ein
Gedicht über uns beide schrieb.
Als ich dich das letzte Mal
gesehen habe, saß ich auf
dem Boden, stand noch nicht mal auf,
um dich zu begrüßen. Wir leben wohl -
und lebten vielleicht immer
in zwei grund-verschiednen Welten.
Im Hier und Jetzt, als die Menschen, die wir sind,
sind wir uns wohl fremd, beziehungsweise
fremd geworden, vielleicht schon immer,
fremd gewesen. Doch du bleibst
für ein paar Jahre noch, eine Erinnerung, die
tief in meinem Kopf vergraben, sich
auf ein Gefühl bezieht, das ich in der Zeit
als wir uns kannten, fast vergessen hatte.